vulkan

Immer dann, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab, lud mein Kollege mich ein, ‚frische Luft‘ zu schnappen. Für mich war es frische Luft, für ihn das gleiche, aber vermischt mit dem Qualm einer filterlosen Gauloise.
Kaum auf der Terrasse angekommen, quoll ihm der Qualm schon aus Mund und Nase: Ein klares Zeichen für die bevorstehende Eruption!

Es dauerte dann auch nicht lange, bis er explodierte: Mit wilden Handbewegungen gestikulierend und die Kippe immer an den Lippen hängend, machte er sich Luft über die Zustände im Unternehmen, vorrangig über das Unvermögen der Produktmanager, die wirklich wichtigen Aspekte in der Produktentwicklung zu erkennen. Jedes Wort, das er ausspuckte, wurde von diesem gelben Qualm begleitet, was seinen Ausführungen einen besonderen Nachdruck verlieh. Das Ganze erinnerte an eine Szene aus einem französischen Krimi und ich genoss die Situation in vollen Zügen!

Wie ich diesen Mann dafür liebte, dass er so ein waschechter Franzose war und zudem alle Klischees bediente, die sowohl an seiner Nationalität, als auch an seiner Profession hängen – er war ein echter ‚Kreativer‘! Alles, was er tat und was er dachte, entwickelte sich scheinbar zuerst tief in seiner Bauchregion, bevor es dann, eben wie ein mit Magma verstopfter Vulkan, in kreativen Eruptionen aus ihm hervorbrach. Und war er ‚erloschen‘, dann war auch kaum was mit ihm an zu fangen: Druck von außen half da nicht, er regierte nur auf seinen inneren Druck.

Beeindruckend war die Kraft, mit der er die Vorgaben des Produktmanagers vom Tisch blasen konnte, mit der er sie in lauten Wortgefechten davon überzeugen musste, seinen Designvorgaben folge zu leisten und nicht den Marktvorgaben. Wenn er ein Meeting aufmischte, konnte man nachher förmlich verbranntes Gummi riechen! Bei den Produktmanagern sprach es sich schnell herum, dass man sich bei ihm warm anziehen musste, wenn man ihm Vorgaben für das Design machen wollte.

Auch damals hatte ein Manager wieder Vorgaben gemacht, mit denen mein Kollege ganz und gar nicht einverstanden war. Die Situation war zu einem Kleinkrieg ausgeartet, den letztendlich wohl weder er noch der Produktmanager gewinnen konnte.
Oft war so eine festgefahrene Situation der Auslöser, dass er sich an mich wandte, wohl auch, weil er erhoffte, dass ich die Wogen wieder glätten könne. Und so war es auch: Ich übernahm die Kommunikation, vermittelte zwischen den Fronten und fand einen Kompromiss, mit dem alle leben konnten, und das Projekt kam zum Abschluss.
Immer öfter wurde ich aufgrund meiner ‚Vermittlungsfähigkeiten‘ eingesetzt, um die erhärteten Fronten zwischen Management und Kreativen wieder aufzuweichen und beide Seiten zusammenzubringen – was wohl meinen Eintritt in das Designmanagement bedeutete.

Sowohl die Kreativen als auch die Manager berichteten mir, dass sie das Gefühl hatten, ich würde sie verstehen und man könne mit mir reden… Seitdem fühle ich mich dem diplomatischen Corps eng verbunden. Doch genauso wie in der Diplomatie und der Demokratie ist ein großer Nachteil dabei zu beachten: Der Konsens kann festgefahrene Situationen beschwichtigen, aber er unterdrückt somit auch die wirklich ‚eruptiven‘ Ansätze, die eine Umwälzung bewirken und somit Schlechtes wegblasen – wirklich Gutes kommt im Konsens selten zustande. Statt nur zwischen den Fronten zu vermitteln, muss Designmanagement daher vor allem gestalten: Es muss das Management so gestalten, dass es mit kreativen Kräften umgehen kann, sodass eine Veränderung zum Besseren sich tatsächlich einstellt. Designmanagement ist daher eine Aktivität des Designs und nicht eine Maßnahme des Managements. Eine, die sicher stellt, dass eine kreative Eruption sich entfalten kann, um eine Veränderung zu bewirken. Aber eben halt so, dass einem nicht alles um die Ohren fliegt!

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  1. Hoi Harald! Das wäre was, wenn man im Alter diplomatischer werden würde…

  2. harald sagt:

    Hi Jan-Erik, wahrscheinlich liegts daran, dass man(che) mit fortgeschrittenem Alter und Lebenserfahrung diplomatischer wird(werden). Die älteren, eruptiven Menschen/Kreativen haben sich offensichtlich kindliche Verhaltensweisen erhalten, die im schlimmsten Fall als stur, ohne Blick auf das, was links und rechts passiert, interpretiert werden können, oder im besten Fall als geniale Kreativität, ohne Rücksicht auf Verluste bzw. Kompromisse. Also ich hab die Erfahrung gemacht, dass bis zu einem gewissen Punkt basisdemokratisches Herangehen und alles zuzulassen essentiell ist, um sich nicht schon vorher durch zu genaue Vorgaben einzuschränken – und das muß Designmanagement ermöglichen und forcieren! Ab einem gewissen Punkt muß allerdings eine (meist einsame und kontroversielle) Entscheidung aus der (Design)Erfahrung heraus getroffen werden, die unter Berücksichtigung aller EInflüssen eine klare Position einnimmt, um nicht endlose Prozesse und kreativ Loops zu provozieren. Daher lieber die Kreativen zuerst einmal weit übers Ziel schießen lassen, damit nach Kompromissen noch immer ein vielleicht nicht geniales, aber eigenständiges und tragfähiges Konzept übrigbleibt.lg ha